Wie Mutterschaft meine Kunst verändert hat
Liebe Klaudia,
du hast mir vor ca. vier Jahren - als ich mit Luna schwanger war- geschrieben, dass du gespannt bist, inwiefern die Mutterschaft meine Kunst verändern wird.
Die Frage hat mich begleitet und heute will ich versuchen ein paar Wörter dafür zu finden. Die kurze Antwort ist: Alles hat sich verändert.
Wahrscheinlich schon mit dem Schwangerschaftstest. Ich weiß noch genau, wie mich plötzlich eine Flut von Sinn/ Purpose durchfuhr, die vollkommen neu war. Es war fast befremdlich, weil ich es so gewohnt war, um meinen Sinn und Platz im Leben zu kämpfen. Zehn Jahre lang hatte ich zu dem Zeitpunkt als freischaffende Künstlerin gearbeitet und mir fast jeden Tag die Sinnfrage gestellt.
Warum bin ich in dieser Welt? Was ist mein Beitrag? Wie kann ich mein Talent nutzen? Wie kann ich Sinn generieren? Wie lange habe ich noch Zeit? Diese Fragen haben mich jeden Morgen aus dem Bett gerissen und mich angetrieben, zu schreiben, zu inszenieren, Projektanträge zu schreiben oder zu reisen.
Und ich fühlte mich auch oft richtig am Platz. Vertraute darauf, dass ich dorthin ging, wo ich gebraucht wurde. Reiste zwischen den Ländern und Projekten und wurde gesehen. Meine Stücke bedeuteten dem Publikum etwas und ich schien mir gegenüber wahrhaftig zu agieren.
Und doch fühlte ich mich auch oft fehl am Platz. Verloren und alleine vor großen Aufgaben. Oder so, als gehörte mein ganzes Leben kaum mir. Vor allem nachts konnte es sich anfühlen, als ob Energien und Stimmen durch mich durchwanderten und schlichtweg forderten, dass ich meine Hände benutzte um zu schreiben.
Schreiben war vor meiner Mutterschaft eine existenzielle Sache. Ich schrieb, um mich selbst zu verstehen. Schreiben war meine Versöhnung mit der Realität. Schreiben war mein größtes Glück und meine größte Verzweiflung. Im Schreiben verstand ich mich selbst besser als im Leben.
Und jetzt waren da diese zwei Striche im Schwangerschaftstest und nach all den Jahren voller Kämpfe um Sinnhaftigkeit, Identität und Kunst, war da ein ungeahnter Friede. Eine lebenslange Aufgabe. Ich kann und will damit nicht sagen, dass Kinder bekommen die ultimative Sinnhaftigkeit ist, aber ich empfand sie als wesentlich evidenter.
Die Schwangerschaft selber war allerdings voller tiefer Prozesse und Verluste. Der Vater brach erstmal weg, es war Corona und ich fand mich immer wieder weinend irgendwo liegend. Im Bett, im Wald, auf fremden Sofas oder im Zug. Es war ein nie gekanntes Weinen. Mit Tränen aus den Augen, aus der Nase und aus dem Mund. Ich war verbunden mit einem Schmerz, der mich selbst bei weitem überstieg. Urkräfte und Urängste von allen Frauen kamen heraus. Meine Verlustängste und das Gefühl, mit der größten Aufgaben meines Lebens alleine dazustehen.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner Zwillingsschwester, die neun Monate vor mir Mutter geworden war. Ich lag mal wieder weinend auf dem Sofa, diesmal bei unseren Eltern, und sie meinte; ich wünschte du könntest nur einen Tag als Mama in der Zukunft erleben, du würdest nie wieder weinen. Ich glaubte ihr kein Wort und weinte weiter. Außerdem bewarb ich mich um große künstlerische leitende Stellen, weil ich Angst hatte, meine künstlerische Identität aufgeben zu müssen als Mutter.
Zu einem Bewerbungsgespräch in Dänemark ging ich mit einem noch unsichtbaren Baby im Bauch, zu dem anderen in Deutschland, als Luna einen Monat alt war. Beide Stellen wussten wohl besser als ich, dass ich jetzt andere Aufgaben hatte und im Nachhinein bin ich dankbar und froh, dass mich niemand genommen hat, denn die Prophezeiung meiner Zwillingsschwester war wahr.
Mit Lunas Geburt entfaltete sich ein Quantensprung von Liebe, der mich bis heute inspiriert und leitet. Ich wurde Mama. Mein Körper wurde zur Wiege und Tränke und ich ließ mich tief in meine Intuition und Kraft fallen. Dieser winzige Körper war mir anvertraut worden und ich lernte Lunas Sprache und Zeichen lesen. Wir kuschelten uns durch die Nächte, reisten durch Traumwelten und machten uns sonnige Tage.
Ich fühlte mich mutiger, freier und schöner als je zuvor. Und obwohl plötzlich alle eine Meinung zu meinem Leben hatten - als Mutter ist man da irgendwie Freiwild - änderte sich nicht so viel wie alle sagten. Wir reisten gemeinsam, ich nahm künstlerische Arbeiten an und versuchte so viel ich konnte von Luna zu lernen. Gleichzeitig las ich viele Bücher, machte eine Coaching Ausbildung und versuchte, meine innere Erwachsene bestmöglich auszubilden, um Mutter sein zu können, ohne dass mir meine eigenen psychologischen Themen ständig im Weg standen. Ich fühlte mich selbstbestimmter und freier.
Und jetzt komme ich zu der eigentlichen Frage: Künstlerisch verwandelte sich mein Schaffen vollständig. Ich fühle mich, entschuldige das Wort: transzendiert. Wahnsinnig viele Egoanteile haben sich verwandelt. Es geht nicht mehr darum Räume zu schaffen, in denen ich mich erfahren kann , in denen mein Name steht oder ich mich ausdrücken kann, sondern so wie ich gerade Räume für Luna erschaffe, mag ich es lieber künstlerische Räume und Findungsprozesse für andere zu gestalten.
2023 wurde uns ein riesiger Leerstand als Spielfläche angeboten und mein früheres Selbst hätte dafür sofort ein Stück schreiben wollen oder eine große Inszenierung spinnen, aber als Mutter ging ich durch die Räume und habe mich gefragt, ob und wie man sie für alle Akteur*innnen aus der Stadt öffnen kann, damit diese gesehen werden und sich wertgeschätzt und vernetzt fühlen. Letztes Jahr habe ich einen Writer Room geleitet und versucht vier Nachwuchsautor*innnen dabei zu helfen, ihre Stimme zu finden. Diese Aufgaben erfüllen mich gerade mehr. Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Stimme finden durfte und jetzt ist es an der Zeit, andere zu spiegeln. Auch gebe ich gerne Coachings und verbinde Heilung und Empowerment viel mehr mit Kunst als früher.
Um ehrlich zu sein, glaube ich rückblickend, dass ich oft nur vorgegeben habe, dass es mir um die Menschen ging. Oft stand das Kunstwerk als Ergebnis über dem Mitwirkenden und mir selbst und jedes Mittel war Recht.
All das nehme ich als sehr positive und natürliche Entwicklung des Älterwerdens und Mutterwerdens wahr. Und gleichzeitig hadere ich auch mit einigen Aspekten: Schreiben fällt mir nicht mehr so leicht. Es fehlt die existentielle Ansschubskraft, Verzweiflung und Energie. Meine Worte kommen mir kitschiger vor und meine Metaphern zu klar. Es gibt eine gewisse Traurigkeit über den Verlust meiner poetischen Seite. Ich bin nicht mehr die junge Frau die Bücher liest und alles in Sprache wahrnimmt. Ich bin jetzt Mutter und Erde und habe eine Standhaftigkeit, die mich erdet und nicht ganz so hoch fliegen lässt.
Die meiste Energie fließt einfach in Luna rein und das soll sie auch gerade. Denn jetzt bin ich erstmal und vor allem Mutter und das ist wohl die größte tektonische Plattenverschiebung meines Selbsts. Früher war ich Künstlerin und alle Prioritäten versammelten sich rund um diesen Fixstern. Jetzt bin ich Mama und die Kunst ist mein Beruf. Sie bestimmt nicht mehr, ob ich gebraucht oder geliebt werde, sie ist einfach das, was ich beruflich am Besten kann.
Übrigens bin ich gerade wieder schwanger. In ca. sechs Wochen bekomme ich einen Sohn und will ihn Elio nennen. Das kommt von dem griechischen Wort Helios und bedeutet Sonne. Ich freue mich darauf Sonne und Mond - Tochter und Sohn - in meinem Leben zu haben.
Ich hoffe, du hattest einen schönen Geburtstag gestern. Mein online Kalender hat mich an deinen Geburtstag erinnert und mir auch deine Frage damals wieder ins Bewusstsein gespült.
Ich werde heute 41.
Alles Liebe, Leonie